DIE LEHRE VON JESUS CHRISTUS 



ZWISCHENSPIEL 
 

DAS MYSTERIUM DES BETENS

 

 

Nach altgeheiligter Kunde sollen die Schüler des weisen Zimmermanns, des hohen «Rabbi» aus Nazareth, vormaleinst zu ihm gekommen sein mit der Bitte:
«Herr, lehre uns beten!» ( Lukas 11:1 )
Darauf, – so sagt uns der alte Bericht, – habe der gottgeeinte Lebenslehrer sie unterwiesen, nun nicht mehr, gleich den Nichterkennenden, die altgewohnten langen Litaneien herzuplappern, sondern nur jene wundersam schönen, einfachen Worte zu gebrauchen, wie sie jetzt noch auf aller derer Lippen sind, die sich, nach dieser oder jener Glaubensform, zu des erhaben großen Gottesmenschen liebeerfüllter Lehre bekennen oder zu bekennen meinen. 
Dennoch aber wissen bis auf den heutigen Tag nur gar wenige Menschen wirklich zu «beten», und noch seltener wird man einen finden, der da erfaßte, was es besagen will, auf jene heilighohe Weise zu «beten», die der große Liebende befolgt wissen wollte. – –
Man kennt nun zwar die Worte, die er, der alten Kunde nach, seine Schüler gebrauchen hieß, – allein, man «plappert» jetzt auch diese Worte nicht anders her, wie vordem andere, von ihm nicht sonderlich gewertete Gebete. – 
Es ändert nichts an der Entweihung, wenn man auch in salbungsvollstem Tonfall spricht, – ja selbst das andachtsvolle Nachempfinden des im Denken sich erschließenden Sinnes macht aus dem Nachsprechen jener herrlichen Worte noch keineswegs ein wirkliches «Gebet». 
So dürfte es denn wieder nötig geworden sein, zu lehren was das wirkliche «Beten» in Wahrheit ist, – zu lehren, wie aus Worten menschlicher Sprache ein «Gebet» erstehen kann, und was sich an tiefem Geheimnis im Gebete verbirgt!

Die heilige Priesterkunst, «Gebete» zu schaffen und wirklich zu «beten», ist heute fast verloren gegangen, und wo sie etwa noch in Übung steht, dort wird sie mechanisch, lebensentlaugt, oder abergläubisch betrieben. –
Aber dort auch, wo man noch zu beten meint, sieht man im Gebete nur die Bitte an die Gottheit, den Ausdruck des Dankes, oder die Lobpreisung, und weiß nicht mehr, daß alles dieses zwar im Gebete zu finden sein kann, aber mit nichten das Wesen des Gebets ausmacht. – –
Man ahnt nicht mehr, daß auch ein Gefüge herrlichster Worte des Lobes, des Dankes oder der Bitte erst wirklich «gebetet» werden muß, be vor es zum «Gebete» werden kann. –

 

 Aus: Das Gebet pdf Seiten: 4-6